Freitag, 11. April 2014

Gelebtes Leben ist ansteckend. Ungelebtes auch.

Ich freue mich, diesen wunderbaren Vortrag von Evelyne Coën mit euch zu teilen.
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Herzlich Willkommen, ich freue mich, dass Sie dem lebendigen Leben noch nicht abgeschworen haben und hier an diesem Vortrag heute teilnehmen. Ich will Ihnen keinen analytischen Beitrag vortragen. Keinen Fachbericht über das „Richtig leben“ abliefern.

Ich will Ihnen auch keine neue Methode servieren. Keine neue Theorie, auch kein neues Prinzip. Die Buchhandlungen sind voll davon. Und trotzdem leben so wenige Menschen.

Die meisten von uns sind ständig damit beschäftigt, die Regeln irgendeiner Schule zu erfüllen, ein Dogma, eine Methode oder ein Prinzip zu vertreten. Eine beliebte Beschäftigung ist auch die Jagd nach den drei Qs: dem IQ, dem EQ und dem SQ.

Ich will Ihnen um Himmelswillen nicht noch etwas Neues aufbürden! Denn der Wissenschaften  gibt es genug, die leblos und perfekt wiedergegeben werden. Und die man auch noch beherrschen sollte! Hinter keinem Theoriegebilde kann das Leben gefunden werden, aber hinter all den Lehren lässt es sich so leicht verstecken. Da ich mich keiner Lehre, sondern dem praktischen Leben verschrieben habe und verpflichtet fühle, bin ich also hier mit mir selbst. Und natürlich bin ich hier mit Geschichten und Beobachtungen von Menschen, die beschlossen haben, aufzuhören mit dem Nicht-Leben. Wenn Ihnen heute Ihre Lebensträume wieder begegnen sollten, dann ist es das Beste, was geschehen kann, um Sie Ihr eigenes lebendiges Leben spüren zu lassen. Sie daran zu erinnern, was Sie alle wissen: dass da noch viel mehr ist, als das, was wir leben.

In meinem Beratungszimmer besuchen mich täglich Menschen, die nicht aufgegeben haben, immer wieder über die Mauer des vorgeschriebenen Denkens und Seins zu schauen, und die beschlossen haben, nichts anderes mehr als ihr gelebtes Leben zu suchen. Die den Mut aufbringen, ihr Gefühl der Sehnsucht nach Lebendigsein zu äußern. Die, statt gehorsam sein zu wollen, wahr sein wollen. Zudem konnten sie alle in ihrem bisherigen Leben mit niemandem über ihr abgestorbenes Lebensgefühl offen reden und wollen auch dies nun ändern. Vorerst noch nicht laut, draußen bei den Kollegen und Kolleginnen. Oftmals auch nicht mit ihren Lebenspartnern oder Eltern. Damit haben sie keine guten Erfahrungen gemacht. Schon als Kinder nicht. Nein, vorerst still, und nicht selten verzweifelt, im Gespräch mit mir. Ihr Erfolg draußen ist oft groß, die Anerkennung gewährleistet und die soziale Einbettung gegeben. Und trotzdem aber – das Leben nicht spürbar.

Sie ist diffus, diese Sehnsucht nach dem Leben. Aber sie ist immer wieder da. Vergraben, vergessen und doch so spürbar da.

Einmal im Leben so richtig leben

Es ist dieses Gefühl in uns, das uns immer mal wieder mahnt: Einmal im Leben so richtig leben!– Was fühlen Sie? Jetzt gerade, wo Sie den Satz hören: Einmal im Leben so richtig leben! Kommt da jetzt spontan ein großer Seufzer, eine leise Wehmut? Oder vielleicht das Gegenteil, nämlich Freude und Lust? Ist das eher freudig oder eher traurig im Gefühl? Ist es ein Prickeln im Körper oder eine lähmende Leere?


Der erste Impuls

Behalten Sie Ihren allerersten Impuls dazu. Nehmen Sie ihn einfach wahr und bewerten und analysieren Sie ihn nicht. Benennen Sie ihn nicht. Nur einfach wahrnehmen. Schauen und fühlen. So beginnt der Weg zur inneren Quelle, zur Intuition, zur Stimme unseres Herzens, die den Weg zu unserem eigenen Leben kennt.

Auf diesen ersten Impuls folgt in Sekundenschnelle der zweite Impuls, und der überdeckt den ersten so gründlich, als hinge unser Leben davon ab. Aber so ist es ja auch. Darüber werde ich noch sprechen. Den einen Impuls vom anderen unterscheiden zu können, braucht etwas Übung.

Aber es ist der spannendste und lustvollste Lernweg, den ich kenne – obwohl wir diesen ganz persönlichen Lernweg oft lange suchen müssen, versteckt in der hintersten Ecke unseres Wesens. Vergraben unter all unserem angelernten Denken und Nicht-Mehr-Fühlen-Dürfen.

Überwachsen und vergessen unter all dem Lern-Stoff, der uns eingetrichtert wurde seit dem ersten Schultag. Dieser Lernweg in Richtung Lebendigkeit ist in keinem Lehrplan unserer Schulen und Universitäten enthalten. Es wäre höchste Zeit, dies zu ändern!

Kinder – ließe man sie – würden diesen, nämlich ihren Weg, ganz natürlich finden.

Kinder – ließe man sie – würden ihn uns vorleben, ganz natürlich.
  
Aber Kindern wird diese tiefe Würde und dieses tiefe Wissen schon früh ausgetrieben. Bis auf einige wenige natürlich. Diese wunderbaren mutigen Ausnahmen gibt es immer und überall.

Wir aber, selbst Kinder dieser anerkannten Unterdrückung, dürfen heute diesen unseren Weg selber gehen und dieses unser Lernen selber gestalten. Das ist ja gerade das wunderbar Neue, aber auch das Schwere und Beängstigende daran. Denn das sind wir nicht gewohnt. Das haben wir nicht lernen dürfen. Wehe, wir hätten unserer Intuition nachgeträumt und danach gehandelt!

Wehe, wir hätten unseren Träumen Namen gegeben! Erinnern Sie sich daran, wie das bei Ihnen war? Wie hat Ihre Umgebung auf Ihre wahren Bedürfnisse und Ihre Tagträumereien reagiert? Wie auf Ihre großen Phantasien und Pläne? Mit Freude und Zeit? Mit Interesse und Förderung?

Spüren Sie, was sich da prächtig entwickeln konnte? Ja, da entwickelte sich schnell unser uns bestens bekannter zweiter Impuls, der dafür sorgte, dass wir nicht träumten und nicht herum schlenderten. Sondern vergruben, was in uns lebte. Wie wir das bewerkstelligen können, erklärte uns stets auch der zweite, uns eingebläute Impuls. Und er tut es heute noch. Was wir lernen mussten, war Leisten. Richtig leisten. Machen. Richtig machen. Dann machen, wenn die Zeit dafür vorgesehen war. Nicht in unserer Zeit, nein, in vorgeschriebener Zeit. Lernen. Das lernen, was vorgeschrieben war, nicht das, was aus Neugierde aus uns selbst drängte und darum so leicht hätte geleistet und gelernt werden können.


Das Wissen vergessen

Also, vergessen Sie am besten einen Moment lang Ihr angelerntes Wissen und Ihre fixen Vorstellungen wie etwas zu sein hat oder nicht zu sein hat. Gerade für die, die Fachleute auf Ihren Gebieten sind, wird dies eine echte Herausforderung. Denn Ihr analytisch geschulter Geist erlaubt Ihnen ungern Spaziergänge auf unbekannten, unberechenbaren Ihr Geist könnte das als unintelligent, sinnlos oder unlogisch taxieren. Der Zensuren sind da viele im Kopf. Nur bringen diese Ihnen nichts Neues. Darum lade ich Sie ernsthaft ein, tauchen Sie ein in Ihr inneres Wissen. Dieses innere Wissen, das wir auch Intuition, erste Impulse oder Sprache des Herzens nennen können.

Dieser innere rote Faden wird es sein, der Ihr anderes Wissen, das rationale und angelernte also, zur Hochblüte treiben wird. Denn wenn Schulwissen einhergeht mit Herzenswissen, dann geschieht wahrhaft Veränderung. Das Gefühl vom Wahrsein, vom Lebendigsein stellt sich nicht ein, wenn wir uns innerhalb unserer ewig gleichen Denkschachtel bewegen, da braucht es schon den Sprung hinaus und im freien Fall hinein in unsere Intuition, die uns immer auffängt.

Ein Chemiker, der bei mir im Gespräch war, drückte es so aus: „Wenn ich denke, wozu meine Forschung dient, die ich heute betreibe, dann wird mir übel. Ich kann mich kaum noch selbst im Spiegel betrachten. Ich nutze mein großes Wissen für eine letztendlich lebenszerstörende Forschung. Und ich weiß das! Meine innere Stimme sagt es mir täglich. Sie lässt mir keine Ruhe.

Meine andere Stimme aber weiß genau: Wenn ich forschen möchte an dem, was längst in mir lebt und sinnvoll wäre, und das laut mitteile, dann bekomme ich keine Forschungsgelder, geschweige denn noch Arbeit. Und in diesem Spannungsfeld von Selbstbetrug und Betrug sterbe ich ab.“ Er wollte endlich springen.

Er wollte sein universitäres Wissen mit seinem Herzenswissen verbinden, wie das eigentlich ganz natürlich wäre. Aber er sah keine Möglichkeit, das in Realität umzusetzen.

Ein anderer Klient brachte dieses Dilemma für sich und so viele andere auf den Punkt: „Ich bin erfolgreich, bin angesehen, verdiene viel Geld als Chefarzt, habe eine hochkomplexe, interessante Arbeit, und mache diese Arbeit auch gut. Ich leite ein Spital, mit einem enormen Pensum an Arbeitszeit. Trage große Verantwortung. Genieße die Macht und die hohe Anerkennung, die mir entgegengebracht wird. Mein Status ist mit Privilegien verbunden, an die ich mich gewöhnt habe.

Ich lebe in einem schönen Haus mit einer lieben Frau, die ebenso wie ich ein Unternehmen leitet. Wir können uns jede Reise leisten und trinken nur den besten Wein.“ – Auch ein Mann, der voll im Leben steht, der es geschafft hat, wie man so schön schrecklich sagt. – Er aber fuhr weiter: „Ich weiß, ich habe alles, aber trotz alledem fühle ich in mir einen enormen Verlust an Lebensqualität.

Ich fühle mich nicht mehr. Ich funktioniere. Habe kaum Zeit für die Patienten, geschweige denn für mich und meine Frau. Ich sehne mich nach Zeit, wenn ich sie aber mal habe, weiß ich nichts mit ihr anzufangen. Wenn ich an mein Leben denke, dann ist da trotz meines großen Prestiges eine Leere. Wozu das alles? Ist dieses gehetzte Dasein mein Sinn? Oder bin ich undankbar?
Sollte ich zufrieden sein, mit dem was ich habe?“ Leise, fast beschämt fuhr er weiter: „In mir ist immer wieder eine Sehnsucht nach dem Ausbrechen. Manchmal träume ich sogar davon, einfach etwas völlig anderes zu tun. Ich träume davon, Zeit zu haben, die Jahreszeiten wieder zu spüren und zu erleben. Oder ich erinnere mich, dass ich doch eigentlich Musik studieren wollte. Aber in der Familie war es beschlossene Sache, dass ich Arzt, wie mein Vater und Großvater, werden sollte.

Ich bin heute zwar gerne Arzt, und trotzdem, das Gefühl der Unzufriedenheit bleibt. Etwas treibt mich. Diese Gedanken aber machen mir Angst. Würde ich ihnen tatsächlich nachgehen und sie Ernst nehmen, dann fürchte ich, alles, was ich mir erarbeitet habe, zu verlieren. Ich glaube ins Nichts zu fallen. Und doch: Ich bin jetzt 48 Jahre alt und deprimiert, wenn ich daran denke, dass das jetzt mein Leben war. Ich möchte leben! Nicht etwa das Leben, das mir anerzogen wurde!

Nein, frei und lebendig leben! Dieses unvergleichbare Gefühl von Leben spüren, das ich tief in mir ahne. Danach suche ich, das bewegt mich. Das lässt mich warm ums Herz werden und in meinen Gedanken höchst mutig und kreativ in meinen Träumen schwelgen, die ich nicht auszusprechen wage. Aber wenn ich es nicht endlich wage, mein Leben, dann habe ich es nie wirklich gelebt.“

Er war in diesem Moment der Klarheit und tiefen Verbundenheit sehr nahe bei sich selbst und gerade dadurch in eine große innere Spannung geraten.
  
Er befand sich in einem inneren Widerstreit zwischen dem ersten Impuls oder der Stimme, die da sagt: „Ich möchte doch so gerne leben, wie es mir entspricht“, und dem zweiten Impuls, seiner Gegenstimme, die mahnt: „Ich darf das nicht. Wenn ich das täte, bräche alles zusammen, es wäre ein Fall ins Nichts. Ich hab doch alles, was also will ich mehr!“

Ein Hin und Her und Ja und Nein, oft bis zur Erschöpfung. Und so erschöpft und leer wirkte er auch.

Aber dieses Leiden war er gewohnt. Damit hatte er gelernt umzugehen. Seit Kindertagen, als seine Sensibilität in ein Erwartungskorsett gestopft wurde. Das hielt er aus – bis heute. Nach außen hin gut, wie Sie gehört haben. Es hätte ihn das Leben gekostet als Kind, hätte er nicht ausgehalten, was ihm aufgebürdet war. Als erwachsener Mann nun kostet es ihn sein gelebtes Leben, dieses sein Aushalten und Verbleiben im Korsett der Erwartungen anderer.

Leben nicht aushalten, sondern leben

Er hatte nicht gelernt, seinem inneren Gefühl zu folgen. Seiner Stimme zuzuhören, seinen ersten Impuls wahrzunehmen und ihm nachzugehen. Aber nun wollte er es. Und das zählt! Er wollte aufhören, das auszuhalten. Er wollte das Leben nicht aushalten, sondern leben.

Von diesem Lernweg spreche ich. Er ist geboren aus einer inneren Notwendigkeit. Und wir werden krank, aggressiv, depressiv, gewalttätig, ganz subtil, oder sichtbar direkt, leben mit Leiden statt mit Freuden, wenn wir nicht beschließen, unseren Geist und unsere Konzentration auf unsere wahren Bedürfnisse zu lenken. Immer wieder und immer wieder aufs Neue. Bei jeder Gelegenheit.

Wenn wir uns selbst nicht diskriminieren und beurteilen, sondern für uns selbst eine neugierige, mitfühlende Haltung einnehmen, entdecken wir ganz natürlich unseren Weg. Und damit auch unseren roten Faden, an den wir uns halten können, durch alle Wirren hindurch. Und es spielt überhaupt keine Rolle, an welchem Platz Sie gerade stehen. Jeder Platz ist genau der richtige Platz.

Sie können überall und sofort damit beginnen. Es gibt keine äußere Struktur, an der Sie sich da halten könnten oder müssten. Hier geht es um Freiheit. Innere wie äußere. Im Wahrnehmen und Ernstnehmen unserer momentanen Bedürfnisse, unseres momentanen Gefühls, unseres gerade im Moment gespürten Wissens entdecken wir, was getan werden kann und muss. Wir entdecken plötzlich die Wahl, die wir glaubten verloren zu haben.


Die Wahl

Die 15-jährige Sandra hatte diese Wahl bereits verloren. Sie musste sich schon in ihren jungen Jahren fürs Aushalten entscheiden. Weil sie keine andere Alternative je kennengelernt hat. Und Sandra ist in bester Gesellschaft damit. Sie fühlte sich in der Schule und im Elternhaus im Stich gelassen und rettete sich, indem sie aushielt, was gefordert wurde. Ich lernte sie an einem meiner Schul-Projekttage zum Thema Gewalt und Vorurteile kennen. Es waren über 100 Schüler und Schülerinnen, die über ihre Erfahrungen sprachen. Sandra war still, unauffällig und angepasst. Die Lehrer hatten nichts an ihr zu beanstanden. Ihre Eltern, beide Akademiker, erwarteten von ihr gute Noten. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger.

Die Schüler wählten aus vielen farbigen Blättern eines aus, und zogen verschiedene Satzanfänge, die sie beenden konnten. Auf Sandras Blatt stand: „Die Schule macht mich....“ Es verging kaum eine Sekunde und schon schoss es aus dem Mädchen heraus: „Die Schule macht mich aggressiv, depressiv und krank. Mich interessiert nichts von dem, was ich lernen muss. Ich hasse es!
Aber ich habe aufgegeben, mich dagegen zu wehren, ich habe aufgegeben zu sagen, was ich wirklich fühle und möchte, ich will nur noch bis aufs i-Tüpfelchen genau gesagt bekommen, was ich wie zu lernen und zu tun habe. Damit kriege ich gute Noten und habe meine Ruhe vor den Eltern und den Lehrern. Die sind dann zufrieden.“ Lehrer wie Mitschüler waren vollkommen perplex! So etwas kam aus der stillen und guten Schülerin Sandra! Auf meine Frage, wie es ihr dabei gehe, antwortete sie: „Miserabel!“ „Und was tust du, wenn es dir miserabel geht?“ „Ich schlage auf mein Kopfkissen ein, und wenn das nichts mehr nützt, schlage ich meinen kleinen Bruder. Der schreit dann so schön laut.“

Sandra hatte aufgegeben, ihre Gefühle und Wünsche mitzuteilen. Die Schreie ihres Bruders sind Ersatz für ihre eigenen nicht ausgedrückten Schreie geworden. Sandra äußerte keine Träume. Und dafür bekam sie gute Noten und Anerkennung. Sandra verbot sich selbst, bereits in ihrem jungen Leben, auf ihre innere Stimme zu hören. Diese lebenserhaltende Stimme, die wohl rebelliert hätte und gezeigt hätte, wie elend sie sich unter dem Erwartungsdruck fühlt. Sie vergrub sie und wird sie mit den Jahren vergessen.

Können Sie sich ihr weiteres Leben vorstellen? Irgendwann wird sie resigniert feststellen: Ich habe nicht gelebt. Aber viel geleistet. Wenn aber dieses Bewusstsein sich meldet, ist die Chance sofort wieder da!


Über das System

Ein unendlich wichtiger Schritt auf diesem Lernweg ist, das persönliche und auch das ganz allgemeine System, in dem wir stecken, einfühlend und zielgerichtet zu hinterfragen. Es macht uns einseitig und darum krank. Das Unterwerfungs-System unserer Schulen ist eines der besten Beispiele dafür. Unterwerfung und Gehorsam als tägliche Anforderung toleriert, kann nicht in Wahrhaftigkeit, Mitgefühl, Mut, Solidarität, Anstand, Freiheit und gelebter Liebe münden. Unter Zwang lernen wir nicht zu leben, sondern zu überleben. Und darum besteht die absolute Notwendigkeit, ein System, ein Umfeld zu schaffen, eine Haltung zu fördern, in der Intuition, Gefühle, erste Impulse und die innere Stimme den gleichen Stellenwert haben wie das angelernte an sich ebenso wertvolle Wissen.

Wäre unser rationales Wissen ausreichend, dann hätten wir unseren Kindern Schulen und Lernmöglichkeiten geschaffen, mit denen sie glücklich wären. Und aus denen selber denkende und mitfühlende Frauen und Männer wachsen könnten, die ihrerseits die Fähigkeit hätten zu spüren, wann ihr Kind aufgegeben hat, es selbst zu sein. Ein Mädchen wie Sandra würde nicht für ihre Selbstaufgabe gute Noten bekommen. Wir hätten dieses System, das künstlich Sieger und Verlierer erzeugt, nicht geschaffen und nicht geduldet. Ganz einfach, weil unser ganzes Gefühl dagegen rebelliert hätte und wir darauf hätten hören dürfen.

Immer noch sind es wenig Eltern und wenige Schulen, die den Kindern ihren eigenen Rhythmus zugestehen, in dem sie lernen dürfen, und auch das lernen dürfen, was sie wirklich interessiert.

Ich habe viel von solchen freien Kindern gelernt, die gerade deshalb lernfähig sind. Sozial und intellektuell. Die ihre Freiheit nicht missbrauchen müssen, weil sie ihnen geschenkt wird. Schauen Sie sich um, es gibt sie, die Modelle, die Schulen und die Bücher, die das freie, undogmatische und gemeinsame Lernen praktizieren und darüber erzählen.


Zurück zum Impuls

Von einer Frau noch möchte ich Ihnen an dieser Stelle erzählen. Sie hat den Kontakt zu ihrem ersten Impuls nie verloren. Sie wusste immer genau, was sie eigentlich wollte. Und trotzdem machte sie genau das nie. Als sie zu mir ins Gespräch kam, war sie gerade in die Geschäftsleitung ihrer international tätigen Firma befördert worden und am Ende ihrer Kräfte. In bestens antrainierter Weise erklärte sie mir den Sachverhalt: „Ich bin da angekommen, wo viele Frauen sein möchten. Ich bin gefragt und leiste mehr als jeder Mann. Durch den Kampf, den ich führte, um an diese Position zu kommen, habe ich mich aber irgendwie verloren. Ich spüre den Verlust meiner Weiblichkeit, ohne genau benennen zu können, was ich damit meine.

Ich lebe seit 10 Jahren ohne Partner, und ich träume wie früher als junges Mädchen von meiner Farm in Canada. Ich habe mir diesen Traum nie erfüllt. Obwohl er ständig präsent war. Meine Eltern sagten mir damals: Werde zuerst etwas, dann kannst du träumen! Ich bin jetzt 50 Jahre alt, und ich bin etwas geworden, aber nun traue ich mir meinen eigenen Traum nicht mehr zu. Mein ganzes Leben lang habe ich ihn vor mir hergeschoben. Hinter mir hergeschleppt. Habe Karriere gemacht und viele Entscheidungen getroffen. Nur nicht die, meinen Traum zu erfüllen.“

Erst als sie sich zugestand, ihre volle Konzentration ihrem Traum zu widmen und Schritt für Schritt, konsequent ihrem jeweiligen ersten Impuls zu folgen, diente ihr die Kraft, die sie vorher dazu brauchte, ihrem Traum nicht zu folgen, zur Umsetzung dessen, was sie schon immer tun wollte.

Ihre Angst vor dem Fall blieb auf diesem neuen Weg präsent, aber sie war nicht mehr stärker als ihr Traum. Sie lebt heute in Canada, genauso, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Und sie ist nicht mehr allein, und ihr Frausein wurde zur Entdeckung einer völlig neuen Kraft in ihr.


Das Gemeinsame

Was haben der Chemiker, der Arzt, die Schülerin und die Managerin gemeinsam, obwohl ihre Lebensgeschichten grundverschieden sind?
Sie funktionieren gut und werden gerade dadurch anerkannt und sozial abgesichert.
Sie sind unzufrieden, spüren einen Verlust in sich.
Eine tiefe Resignation lebt in ihnen.
Sie kapitulieren.
Sie spüren den drängenden Wunsch nach dem eigenem Leben und Wahrsein.

Das, was ich in meiner Arbeit täglich feststelle, ist das Vorhandensein des klaren Wissens in jedem Menschen, das aber nicht wahrgenommen werden darf und durfte. Was diese Menschen mitbringen, ist die Unzufriedenheit, gepaart mit einer tiefen Resignation. Und wenn sie noch nicht vollends begraben ist, dann noch gepaart mit der Sehnsucht nach echtem Leben. Aber da ist auch gleichzeitig die Angst vor dem echten Leben mit all den eigenen Träumen, den eigenen Wünschen, der eigenen Ethik. Und da ist die Anpassung an geforderte Erwartungen und Normen. Und da sind die Folgen davon. Eine Unterwerfung an eine diffuse Macht von Nicht-Leben-Dürfen, die wie eine Epidemie so viele Menschen angesteckt hat.

An dieser Krankheit laborieren wir alle mit. Und alle, die ich begleite, möchten damit aufhören.

Und sie beginnen endlich ihrem Mitgefühl – das einhergeht mit dem inneren Wissen – zu folgen.

Zuerst in kleinen, später in größeren, sie befreienden Handlungen.

Nicht wenige haben bereits langjährige Analysen hinter sich und können sich selbst und anderen genau erklären, warum sie nie das machten, was sie eigentlich gerne gemacht hätten. Sie haben Methoden und Theorien befolgt, sind in Religionen und Traditionen verwurzelt, haben gelernt und gelehrt. Sie haben vieles ausprobiert, kennen Gurus und Heilslehren. Sind hoch ausgebildet und besitzen Titel und Funktionen. Sie haben erfolgreiche, interessante Berufe und Karrieren.

Aber eines haben sie nicht: Ihr eigenes Gefühl vom selbst gewählten und gelebten Leben. Dafür aber dieses sich immer wieder meldende Gefühl der Unzufriedenheit, ohne direkt ersichtlichen Grund. Eine Resignation, die geboren ist aus dem Gefühl der Hilflosigkeit der eigenen Sehnsucht nach glücklichem Leben gegenüber.


Die Resignation

Ich möchte noch etwas bei diesen Gefühlen der Resignation bleiben. Ich bedauere sehr, dass sie in keiner Weise als das, was sie ist, erkannt wird, nämlich als wahrhaftiger Spiegel der eigenen Befindlichkeit und zwar ohne Wenn und Aber. Ohne Beschönigung, ohne Verbrämung und nicht verklausuliert. Als ein großes Geschenk an uns selbst, wollen wir wirklich ins eigene Leben gehen.

Viele Frauen und Männer leben bei genauer Betrachtung in dieser umfassenden tiefgreifenden Resignation. Und diese wird oft nicht bewusst wahrgenommen. Weder von den Betroffenen selbst, noch von ihren Therapeuten und Beratern, und schon gar nicht von unserer Gesellschaft. Aber das ist es, was sie sind, einfach nur resigniert.

Wahrgenommen werden hingegen die Symptome der Resignation, wie zum Beispiel Mutlosigkeit, Lustlosigkeit, Langeweile, Antriebslosigkeit, Depression, Aggression, Leere, Wut, Migräne, Konsumsucht u. v. a. mehr. Resignation und die damit oft verbundene Kapitulation den eigenen wahren Bedürfnissen gegenüber kann sich aber auch ganz anders zeigen.

Und dieser Ausdruck einer versteckten Resignation ist der Raffinierteste, denn er ist uns als Voraussetzung, leben zu können, antrainiert worden.

Hier zeigt sie sich nämlich auch im Kampf um

– die Stellung mit dem höchsten Prestige
– den höchsten Bonus
– Marktvorteile, egal um welchen Preis
– Karriere, egal um welchen Preis
– eine Frau, einen Mann
– die beste Aktie
– ums Rechthaben.

Diese Liste ließe sich endlos weiterführen. An solchen Kompensationen hängt unser zerstörerisches und ausbeuterisches Wirtschaftssystem, das gerade darum zu funktionieren scheint.

Analysen, Statistiken, Produkte, Beratungen basieren darauf.

Was täten sie alle, wenn dies aufhören würde? Was, wenn die Menschen frei von alledem würden?

Das darf nicht sein, und darum: Wenn die Resignation tatsächlich wahrgenommen wird, wird sie unverzüglich benannt, bewertet, beurteilt, analysiert und mit den verschiedensten Methoden und Mitteln bekämpft.

Sie darf nicht sein. Denn sie hindert uns am Funktionieren, dass uns abverlangt wird. Sie bringt uns zum eigenen Nachdenken. Und das führt uns in den Abgrund. Dazu hat jeder Mensch seine eigene Vorstellung. Jedenfalls ist diese Vorstellung von Befreiung aus der Funktions- und Manipuliermasse Mensch immer ganz existentiell bedrohend.
  
Ich sage Ihnen, das Gegenteil ist der Fall: Wenn wir nämlich Schritt für Schritt vorgehen, die Resignation einfach sprechen lassen und somit in diesen Spiegel der tatsächlichen Befindlichkeit schauen, und zwar ohne Wertung, einfach nur schauen und es einfach nur wirken lassen, ohne Benennung dessen, was wir sehen und ohne gleich die Gefühle dazu zu unterdrücken und wegtherapieren zu wollen, dann führt uns dieses Schauen zu der Brücke, nach der wir ja eigentlich suchen, hinüber zu unserer tiefen Sehnsucht nach unserem eigenen gelebten Leben.


Die Sehnsucht

Hin zu dieser Sehnsucht, die uns wiederum direkt zu unserer inneren Wahrheit führt, die wir ebenfalls für sich sprechen lassen dürfen, um so beginnen zu können, das zu leben, was wir wirklich fühlen und wollen.

Das allerdings braucht Konzentration auf die Tatsachen unseres wahrhaftigen Fühlens und die Tatsachen unseres gegenwärtigen Lebens. Und es braucht einen offenen Geist, der wertfrei und ohne Vorstellung direkt aus unserem Herzen mitdenkt und vor allem mithört. Nur das Herz kann wertfrei hören. Ausbildung, Vorstellung, Meinung und Wertung geben dem Herz in der Regel keinen Platz.

Die Sehnsucht in uns beredt werden zu lassen ist etwas vom Schönsten überhaupt. Da kommen Visionen, Träume, Ideen, Wünsche zum Vorschein, die den tiefen Wahrheiten in uns entspringen. Und die von Liebe und Solidarität für den Mitmenschen, die Tiere und die Natur nur so sprühen. Die eine gelebte Freiheit mit sich bringen, die uns alle beseelt. Die Fachwissen endlich dem Menschen und dem Planeten Erde dienbar macht. Und es kommt eine der wichtigsten Einsichten zu Tage, nämlich die, dass der freie und befreite Mensch aus innerem Antrieb und Bedürfnis voller Rücksichtnahme ist.

In den vielen Neuorientierungsseminaren war dies eine der erstaunlichsten und tragfähigsten Feststellungen. Der Mensch ist fähig, über all seine Konditionierungen, Vorurteile, Religionen und Ethnien hinauszuwachsen.

Er wächst sogar über das Frau- und das Mannsein hinaus und wird einfach nur Mensch. Dies ist gelebte Spiritualität, die einfach, klar und deutlich ist.

Es braucht aber das wertfreie Zuhören. Das ist unabdingbar, soll gelebtes Leben gelingen. Es braucht den Mut, sich vom eigenen inneren Feuer wärmen zu lassen. Und es braucht das Bewusstsein und den Willen, es auf kein vorgeschriebenes Maß zu reduzieren. Ganz natürlich führt uns das zu Zufriedenheit und Selbstbestimmtheit. Und dies wiederum eröffnet uns die Wahl, die wir in unserer Hilflosigkeit längst verloren glaubten. Diese Wahl bringt uns Freiheit, Mitgefühl und Kraft; das wiederum beschert uns das Gefühl vom gelebten Leben, nach dem wir so lange suchten.

So können Unzufriedenheit und Resignation unsere untrüglichen Wegweiser zu unserer Sehnsucht nach gelebtem Leben werden. Es ist eine Chance, die wir nicht unterdrücken sollten. Denn die Sehnsucht ist die Schwester der Resignation. Und die Sehnsucht ist die Sprache des Lebens, das in uns wach werden will und wachsen will. Und somit ist sie der authentischste Wegweiser ins gelebte Leben.

Und hier erwacht nun der Wille, der die Kraft in sich birgt, diesen neuen Weg zu gehen. Auch wenn dieser manchmal unbequem ist. Es erfordert die Bereitschaft, tiefes Erkennen und tiefe Einsicht zuzulassen. Was daraus wächst, ist der Mut zum Handeln. Und es erfordert das Weglassen jeglicher Art der Ablenkung und äußeren Wegleitung. Und das ist nicht leicht in unserer wahnsinnigen Zeit, mit ihren schnellen Rezepten. Aber das ist unabdingbar, will man den wirklich eigenen Weg finden und gehen.
  
Keine Schule, keine Universität und kein Beruf hat uns das gelehrt. Es scheint uns darum unendlich schwer, diesen Weg ganz praktisch zu gehen und diese innere Stimme zu hören und ihr dazu noch zu vertrauen. Vor allen Dingen, die richtige innere Stimme zu identifizieren. Diesen ersten Impuls vom zweiten Impuls zu unterscheiden, dass erscheint am Anfang fast unmöglich.


Die Erwartungen

Darum gerät zunächst alles ein bisschen oder ziemlich durcheinander, und so taucht dann auch meistens genau in diesem Moment der inneren Wahrheit die Erwartung auf, eine Methode, eine Theorie oder eine Lehre könne nun diese erwachte Wahrheit erfüllen. Also glaubt man, man müsse nur das Richtige für sich finden, die neuen Leitlinien nur richtig befolgen, um so die eigene Sehnsucht erfüllt zu bekommen. Und dass so das gelebte Leben machbar wird. Wir haben ja vor allen Dingen genau das gelernt, etwas Vorgegebenes richtig zu erfüllen. Dafür bekamen wir Lohn und Anerkennung, und damit sind wir schließlich nicht verhungert. Außer eben unser Hunger nach gelebtem Leben, der blieb groß.

Diese Hoffnung, jemand oder etwas kann mir zeigen, wie ich glücklich leben könnte, ist darum ganz natürlich, birgt aber die Gefahr, ein fremdes Lebenskonzept statt des eigenen zu leben.

Es birgt zudem die Gefahr, dass die Sehnsucht manipuliert wird. In eine Richtung, die einem anderen statt mir selber dient. Diese Art der Manipulation ist allgegenwärtig und bringt Leid und Verunsicherung, man verliert den Zugang zu sich selbst und damit zum eigenen klaren Wissen und Fühlen.

Die Geschichte der 11-jährigen Liza zeigt eindrücklich, was geschehen kann, wenn ein Mensch sein klares Wissen und Fühlen verlässt: Lizas Eltern waren geschieden. Liza konnte selber entscheiden, wann sie bei wem sein wollte. Das ging solange gut, bis der Vater plötzlich bestimmte, es sei nun besser für sie, wenn sie ein Zuhause hätte und nicht mehr zwei. Liza fiel in tiefe Verzweiflung.

Bekam Schulschwierigkeiten, Schlafstörungen und weinte wegen jeder Kleinigkeit. Sie wurde immer wieder krank, und die Mutter beschwor den Vater, seine so schwerwiegende Entscheidung zu überdenken. Sie wusste kaum noch ein und aus. Der Vater aber blieb bei seiner Entscheidung. Als Liza mit ihrer Mutter zu mir kam, erzählte sie mir ihr Leid. Sie weinte und sie litt. Obwohl sie dem Vater klar mitgeteilt hatte, dass sie glücklicher sei, wenn sie ihn oft sehen könne und sie schrecklich traurig sei, wenn er sie nur alle vier Wochen sehen wolle, blieb der Vater bei seiner Auffassung.

Das allein ist schon schlimm genug. Was aber am allerschlimmsten ist: Der Vater befolgte den Ratschlag des Psychologen, zu dem er ins Gespräch geht. Ein Kind müsse klare Strukturen haben, meinte dieser. Es sei nicht gut, wenn es mal hier, mal dort sei. Gegen sein eigenes Gefühl entschied der Vater, diese Weisung einzuhalten. Dem Kinde zuliebe, wie er meinte. Bis zu dem Zeitpunkt, als eine Autoritätsperson einen anderen Weg empfahl, war Liza ein aufgewecktes, selbstsicheres Kind.

Danach verlor sie den Boden. Und man behandelte die Symptome, bis gar nichts mehr ging.


Das Gefühl

Hier haben wir ein klassisches Beispiel, wie Leid entstehen kann. Alles geht gut, bis der Vater sein eigenes Gefühl verlässt, um einem vermeintlich rationalen Wissen zu folgen. Von dem Tag an, als er den Mut aufbrachte sein Gefühl wieder Ernst zunehmen, lösten sich die Probleme des Mädchens. Es wurde wieder fröhlich und lebendig. Ansonsten hätte es je nachdem wohl depressiv, magersüchtig oder gewalttätig werden können.

Wenn ein Mensch seinem inneren Gefühl nachgeht, dieser Stimme seines Herzens folgt, dann lebt er auf ganz natürliche Weise voller Mitgefühl für sich selbst und seine Mitmenschen. Dogmen, Glaubenssätze, Manipulationen und Lehren können ihn nicht dahingehend beeinflussen, dass er gegen sein eigenes Gefühl lebt.

Dass ist die Aufgabe, die wir haben, wenn Veränderung in unserem Leben stattfinden soll. Wir kommen nicht umhin, immer wieder für uns selbst die Verantwortung zu übernehmen und zu hinterfragen, was wir gerade tun und für wen wir das tun und ob wir das tun wollen, was wir tun.

Wir alle besitzen diesen wichtigen Kompass in uns, der uns auffordert, ihm zu folgen. Wir müssen es halt einfach nur tun. Auch wenn es uns am Anfang schwer erscheint. Mit der Zeit wird es immer selbstverständlicher und befreiender. Und als Zugabe höchst lebendig! Wenn Sie die Erwartung auf Ihr eigenes Wahrsein lenken, dann ist das die Erwartung, die ich unterstützen kann. Diese führt in Ihre Selbstbestimmtheit und duldet keinerlei Manipulation. Und das lässt Träume wahr werden.


Die Selbstbestimmung

Anna war 32 Jahre alt, als sie zu mir in die Beratung kam. Sie hatte, zusammen mit ihrem Partner, einem sehr erfolgreichen Unternehmensberater, einen wunderschönen Bauernhof in einem stillen Tal in der Schweiz gekauft. Sie arbeitete mit Pferden, wie sie es sich immer gewünscht hatte.

Und doch saß sie eines Tages bei mir. Etwas fehlte ihr. Sie schämte sich dafür, hatte sie doch alles erreicht, was sie wollte. Nur etwas verwirrte sie. Sie konnte sich das kaum eingestehen. Sie träumte nun plötzlich von unendlichen Weiten. Sie wollte sich auch sofort wieder davon distanzieren und wurde dabei von Tränen geschüttelt.

Ich ermunterte sie, weiterzuträumen. Sie behielt – trotz Panik, die aufstieg – die Bereitschaft dazu.

Und sie beschloss, ihre Vision von Amerika ihrem Partner zu erzählen. Dieser reagierte entsetzt.

Sie lebten ja erst seit knapp zwei Jahren auf dem Hof und hatten viel investiert. Sie realisierte zum ersten Mal bewusst, dass sie einen Hof geschaffen hatten, der ihrem sanften, freien und einfachen Wesen nicht entsprach. Die Innenräume waren durch ihren Partner auf Messing und Marmor gestylt worden. Der Garten glich einem französischen Königshofgarten, dessen einzige Aufgabe es war, reich zu scheinen. Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen. Sie beide hatten eine sich völlig widersprechende Lebensphilosophie. Und sie hatte sich aus Gewohnheit vollkommen angepasst.

Gerade jetzt musste sie durch Zufall erfahren, dass ihr Partner eine Geliebte hatte und beschloss, drei Wochen zu Freunden nach Amerika zu reisen. In den Weiten Colorados kam sie sich selbst näher. Sie traf einen Menschen, der ihrer Seele entsprach und mit dem sie Gespräche führen konnte, die ihr im Innersten gut taten. Zurück in der Schweiz wollte sie noch einmal versuchen, mit ihrem Partner ins Gespräch zu kommen. Er aber wollte nur eines: dass alles blieb, wie es war.

Kurz: Es kam zu einer unschönen Trennung. Sie verlor und verzichtete auf einen Großteil ihres Vermögens und überließ ihrem Partner den Hof. Sie reiste zurück nach Colorado und ist heute dort glücklich verheiratet. Zusammen mit ihrem Mann und den dort ansässigen Indianern hat sie mit Lust und Kraft ihr eigenes Unternehmen auf die Beine gestellt.

Sie schreibt mir lebensfrohe Briefe, und einer der letzten enthielt einen Satz, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte, denn ich finde, er beschreibt gelebtes Leben sehr treffend: Du hast mein Leben zum Singen gebracht. Natürlich hat sie das selbst getan. Meine Begleitung hielt sie einzig an ihrem Wesenskern, aber sie war bereit, diesem zu folgen. Durch alle Angst und alle vordergründig materiellen Verluste hindurch, die sie während dieses Lernweges zu sich selbst hin begleiteten.


Folgen Sie sich selber

Es gäbe noch viele realisierte Träume zu erzählen... Ich möchte Sie auffordern, Ihre Träume Ernst zunehmen und ihnen zu folgen. Vor allen Dingen, sie nicht zu werten, sie nicht in Schubladen innerer und äußerer Zensuren zu stecken. Sie frei zu lassen, groß oder klein zu lassen, einfach so, wie sie sich gerade zeigen. Ist da kein Traum, sondern nur das Gefühl der Unzufriedenheit oder Unerfülltheit, dann gehen Sie dieser nach und bleiben Sie dabei nicht an den Symptomen hängen.

Sie können Jahre damit verbringen, diese zu untersuchen und zu analysieren, ohne je in Ihr gelebtes Leben zu springen.

Vielleicht ist das nun der Moment, in dem Sie jetzt gerade die Augen schließen, und sich fragen können: „Habe ich mich in meinem Leben je gefragt was ich will? Oder habe ich gemacht, was die anderen von mir wollten? Was ist mein tief gespürtes Bedürfnis. Wonach sehne ich mich?

Gerade jetzt.“ Nehmen Sie aufmerksam das allererste Bedürfnis wahr und behalten sie es, wie ein kostbares Geschenk. Es hat sich gemeldet aus Ihrem tiefsten Innern, dass Sie solange nicht hören durften. Darauf können Sie vertrauen und aufbauen. Es ist der Same, der wartet, dass Sie ihn begießen, mit Ihrem Willen und Ihrer Konzentration, Ihrem Mitgefühl und Ihrem freien Geist.

Dazu haben Sie immer die Wahl.

Lassen Sie sich nicht anstecken von all den zweiten Impulsen in Ihnen selbst und um Sie herum.

Jede schnelle Gegenstimme ist aus Selbstentfremdung gewachsen. Innen wie außen. Prüfen Sie gut, wer oder was Ihre innere Lebendigkeit zu Tage fördert oder aber sogleich abtötet. Lassen wir unsere Lebendigkeit abtöten, dann werden wir Teil dieser Haltung, die Menschen die Würde abspricht, die der Manipulation Hand bietet, die das Mitgefühl als unlebbar darstellt und Liebe der Lächerlichkeit preisgibt.

Diese Wahl ist es, die wir alle haben und treffen müssen, soll Gewaltlosigkeit eine Chance bekommen, sollen Menschen heranwachsen können, die nicht wie geistlose, leblose Roboter alles ausführen. Diese Wahl ist es, die uns ermöglichen kann, als lebendige Menschen der Kraft unseres Mitgefühls zu folgen, und so in die Unabhängigkeit, direkt in unser wahrhaft gelebtes Leben zu springen. Es kann ein langer Weg werden, aber Sie werden auf diesem Weg immer fühlen, dass es Ihr Weg ist. Das ist wunderbar prickelnd und körperlich spürbar. Und er ist begleitet von kleinen und großen Zufällen und Wundern, die einfach passieren, sobald Sie sich wirklich treu sind.


Lassen Sie sich anstecken, Ihrem wirklichen, eigenen, inneren Feuer zu folgen.


Herzlichen Dank an Evelyne Coën – www.cross-roads.ch                 

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