„Niemand urteilt schärfer als der Ungebildete.
Er kennt weder Gründe noch Gegengründe
und glaubt sich immer im Recht.“
(Ludwig Feuerbach 1804-72)
ehe er nicht bewiesen hat, dass er eine Sache
von wenigstens acht Seiten her beurteilen kann.“
(Konfuzius 551-479 v.Chr.)
Seit mehreren Jahren versuche ich mir das (be-)werten und (ver-)urteilen von Situationen und Menschen abzugewöhnen.
Natürlich habe ich Werte, Vorlieben und Abneigungen und unterscheide auch zwischen angenehm und unangenehm, gesund und ungesund, Wohlgefühl und Unwohlsein, Sympathie und Antipathie, Abneigung und Zuneigung..., um diese Werte geht es mir hier nicht.
Es geht um die negative Form des Wertens, das abwerten und verurteilen.
Wir können Situationen immer nur aus einem kleinen Blickwinkel oder Zeitfenster betrachten. Die großen Zusammenhänge können wir nicht erkennen, weder was alles zu diesem Ereignis geführt noch was es für die Zukunft bedeutet und zwar für alle Beteiligten eines Ereignisses. Könnten wir dies erkennen, dann bräuchten wir wohl nichts mehr bewerten – wir würden verstehen.
Bevor du andere Menschen oder Situationen bewertest oder verurteilst, stelle dir immer folgende Fragen:
- auf welcher Basis meine ich mir das erlauben zu können, kenne ich alle Fakten?
- kenne ich den Weg aller Beteiligten die zu einer Situation geführt haben und weiß ich was alle Beteiligten daraus zu erfahren haben?
- weiß ich genau mehr als andere?
- bin ich diesbezüglich besser als andere?
- kann ich meine (hohen) Ideale auch selbst umsetzen, lebe ich selbst das Leben was ich wirklich leben will?
Könnte ich all diese Fragen mit JA beantworten, dann würde ich verstehen und werten wäre damit überflüssig.
Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden. Wie viele Erlebnisse gab es in deinem Leben wo du dir erst dachtest „so ein Mist“ und heute sagst „glücklicherweise klappte es damals nicht“. Ich glaube es landet keine einzige Schneeflocke auf dieser Welt zufällig irgendwo, alles hat einen „übergeordneten“ Sinn, den wir nicht immer verstehen können, weil uns der Blick auf das Gesamte fehlt. Aber wir können darauf vertrauen, dass es so ist und es letztendlich immer zu unserem Besten ist.
Nicht nur über Situationen werten und urteilen wir. Mal ehrlich, Menschen beurteilen wir meistens erstmal nach ihrem Äußeren. Dann ab in eine Schublade und in der Regel bleiben sie da auch drin.
Klar, der äußere Eindruck ist nun mal der erste und zählt für uns visuelle Menschen, aber diese oberflächliche Sichtweise kann uns auch ganz schön in die Irre führen. Wie oft haben wir schon Menschen kennengelernt und gleich in unsere Schubladen einsortiert. Nachdem wir sie dann näher kennengelernt haben, durften wir feststellen, hey, das ist ja ein total netter Mensch mit dem ich mich super unterhalten kann. Ist es nicht wichtiger einen Menschen zu finden, der mit seinen inneren Werten und seiner Einstellung auf unserer Welle schwingt, auch wenn sein Äußeres nicht ganz unserem Geschmack entspricht.
Es spricht nicht gerade für uns, wenn wir Menschen ablehnen, nur weil sie nach äußerlichen Maßstäben oder unserer Interpretation nach nicht unseren Lebensmustern entsprechen. Wer bestimmt eigentlich was normal ist und was nicht, in der Regel die Gesellschaft.
Reisen wir in ein anderes Land oder in eine andere Zeit, herrschen dort andere Gesellschaftsformen und wir müssen uns an neue Normalitäten gewöhnen. Und nur weil die Mehrheit etwas für normal und richtig hält, muss es noch lange nicht richtig sein, was in der Geschichte bereits oft und bitter erfahren wurde.
Ich finde Menschen faszinierend die ihren eigenen Stil gefunden haben. Die einen eigenen Standpunkt haben und diesen auch vertreten können. Die sich selbst und ihrer Art treu sind – die authentisch sind.
Schönheit liegt im Auge des Betrachters und ist zudem vergänglich, der Charakter bleibt in der Regel relativ konstant. Wir wollen wir jemanden wirklich verstehen wenn wir nicht seinen Weg in seinen Schuhen gegangen sind? Wären wir es, dann bräuchten wir sicher nicht mehr werten und urteilen.
Das heißt nicht, dass ich nun alle Situationen und Menschen toll und schön finden muss, aber ich kann mich neutral verhalten oder einfach nur distanzieren.
Das erfordert auch von mir, die sich darin schon jahrelang übt immer wieder Achtsamkeit meinem eigenen Denken gegenüber. Ich ertappe mich auch manchmal noch bei solchen Gedanken wie „sag mal, hat der keinen Spiegel zuhause“, merke es in der Regel aber sofort und sage zu mir selbst „lass es doch einfach, ist bestimmt ein netter Mensch“.
„Misstraue deinem Urteil,
sobald du darin den Schatten
eines persönlichen Motivs entdecken kannst.“
(Marie von Ebner-Eschenbach 1830-1916)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen